Mosel Musikfestival - Eröffnungskonzert vom 08. Juli 2017

Médium: 
Trierischer Volksfreund
Date de publication: 
10/07/2017

TRIER Die Interpreten ließen Beifall einfach nicht zu. Der letzte Akkord in Arnold Schönbergs "Überlebendem von Warschau" war mit einem heftigen Akzent zu Ende, da verließen die Mitglieder des Saarländischen Staatsorchesters in Trier St. Maximin unvermittelt ihre Plätze, manche tauschten die Positionen aus, andere gingen ab, wieder andere kamen dazu. Es war "business as usual". Und damit genau die rechte Konsequenz aus dieser Kantate, die Schönberg gegen Ende seines Lebens schrieb - über Menschen, die im KZ angesichts des nahen Todes ihre Religion wiederfinden und ihre ethnische Identität gleichfalls. Keine Frage: Jeder Applaus hätte den ethischen Anspruch in diesem Werk geschwächt.
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In kurzen sieben oder acht Minuten schildert Schönberg, wie Menschen die Lager-Tyrannei abwerfen, wie sie ganz zu sich selber kommen und zu ihrem jüdischen Volk. Bariton Franz Grundheber beginnt mit der Erzählung des "Überlebenden" leise, verhalten und jenseits aller Dramatik. Dieser Sprechstil lässt ahnen, was die Erzähl-Figur an Schrecklichem erlebt hat. Und wenn gegen Ende der befohlene Zählappell übergeht in den jüdischen Hymnus "Schema Israel" - "Höre, Israel" -, dann nimmt bei Grundheber die Sprech-Intensität zu, ohne theatralisch zu werden.
Der Choreinsatz war ein Höhepunkt - vielleicht der große Höhepunkt in diesem ausverkauften Eröffnungskonzert zum Mosel Musikfestival. Da findet der etwa 60 Köpfe starke und bestens vorbereitete Männerchor zu einer imponierenden Gewalt und bedingungslosen Hingabe. Das Staatsorchester aus Saarbrücken und vor allem Dirigent Jochen Schaaf geben Schönbergs strenger und doch so farbenreicher und klangintensiver Zwölfton-Partitur eine expressionistische Schärfe.
Jeder der 800 Besucher mag es gespürt haben: Nach Schönberg offenbart Beethovens Neunte ein anderes, meist verborgenes Potenzial - weniger kulturgesättigt, nachdenklicher. Bei Franz Grundheber klingt das Final-Rezitativ "O Freunde, nicht diese Töne" wie eine unübertrefflich präsente und ungemein entschiedene Absage an alle Konventionen. Spätestens in diesem Satz hört bei Beethoven die Gemütlichkeit auf. Dabei bringt Jochen Schaaf nicht allzu viel dirigentisches Profil mit. Aber das ist auch anders zu verstehen: Der Dirigent lässt das Orchester frei ausspielen. Es dankt ihm mit Konzentration, Engagement und Distanz zu lauer Routine. Nur bei komplexen, polyphonen Abschnitten weichen die Klangkonturen in der Maximin-Akustik auf, und der langsame Satz gerät merkwürdig eilig, fast atemlos.
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Aber dann das wunderbare Chorfinale! Der Trierer Konzertchor, der Kammerchor "Madrigal de Luxembourg", Mitglieder des Trierer Speechors und je drei Sängerinnen und Sänger aus dem Trierer Opernchor haben sich zu einer Formation von erstaunlicher Qualität zusammengefunden. Aus der Maximin-Apsis heraus entfalten sie Klangfülle, Deutlichkeit der Sprache, Reinheit der Intonation und dazu eine beeindruckende Klangkultur. Das Schrille, Forcierte, Überanstrengte, das Sängern und Hörern den späten Beethoven verleiden kann, es stellt sich noch nicht einmal in Ansätzen ein. Susanne Bernhards klangschöner, leichter Sopran, Marion Ecksteins runder, warmer Alt, der helle, freilich eher einförmige Tenor von Thomas Greuel und der überragende und dabei höchst anpassungsfähige Franz Grundheber, sie formieren sich mit Chor und Orchester zu einem homogenen und am Ende jubelnden Klangganzen. Gerade im direkten Vergleich mit Schönberg entfaltet Beethoven eine entschiedene, eine utopische Kraft. Sie ist Mahnung und Appell zugleich: zu verhindern, dass sich Auschwitz jemals wiederholt. Und sich für eine bessere, eine humane Welt einzusetzen. Die Besucher applaudierten anhaltend und hellauf begeistert und blieben noch lange vor St. Maximin miteinander im Gespräch.